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…von der Manufaktur zur industriellen Fertigung…

Ist Klebtechnik zu komplex für die Praxis? Jein, sagen unsere drei Experten und legen den Fokus auf den Mehrwert, der in dieser Technologie vor allem für Fassaden- und Fensterbauer liegt. Zum Thema sprach die Redaktion mit den drei Experten Dr. Wolfgang Wittwer (W), Antonius Beier (B) und Michael Merkle (M).

Kömmerling Mitarbeiter im Gespräch
mit der Redaktion (v.l.n.r.): Antonius Beier
(Vertrieb), 
Michael Merkle (Anwendungstechnik) und Dr. Wolfgang Wittwer (Laborleiter).
Kömmerling Mitarbeiter im Gespräch mit der Redaktion (v.l.n.r.): Antonius Beier (Vertrieb), Michael Merkle (Anwendungstechnik) und Dr. Wolfgang Wittwer (Laborleiter).

Warum ist der Anteil der verklebten Fenster in Deutschland noch immer überschaubar?

W: Die Klebetechnologie ist relativ komplex. Viele konventionell produzierenden Fensterbauer haben daher Hemmungen, einzusteigen. Gleichzeitig muss der Mehrwert der Technologie bei den Endkunden mit einem gewissen Aufwand vermittelt werden. Meiner Einschätzung nach gibt es einige Treiber, bei denen die Mehrwerte sichtbar werden: Das eine ist die Fertigungsoptimierung bei den Fensterbauern selbst, die durch diesen Re-Engineering-Prozess eine bessere Ablaufstruktur in ihre Prozesse einbringen. Und das zweite ist, in Kundenhinsicht, sicher die einbruchhemmende Verglasung. Die zugfeste Anbindung der Scheibe erreicht eine Performance, die mit konventionellen Methoden so nicht zu machen ist.

B: Im Bereich RC2/RC3- Konstruktionen ist Verklebung mehr oder weniger Standard. Ich sehe es wie Dr. Wittwer, das Problem liegt in der Marktstruktur in Deutschland. Die Fensterbauer tun sich schwer, diese Technologie bei ihren Kunden erfolgreich zu vermarkten. Und das bremst den Prozess. Der Anteil der geklebten Fenster in Deutschland liegt etwa bei acht bis zehn Prozent. In Österreich und der Schweiz gehen die Uhren dagegen etwas anders: Wir gehen in Österreich von einem Anteil geklebter Fenster zwischen 50 und 60 Prozent und in der Schweiz von 30 bis 40 Prozent aus. In beiden Ländern gibt es Hersteller, die selbst auch Systemgeber sind. Das heißt, sie können die Vorteile der Klebetechnik argumentativ nutzen und sie können ihre Konstruktionen auf die Klebetechnik ausrichten.

W: Man kann das auch wirtschaftlich beleuchten: Für die Systemgeber ist es zunächst einmal eine Investition, die durch Vermarktungsargumen­te - zum Beispiel die Vermeidung von Stahl, um den U-Wert nach unten zu drücken - gerechtfertigt werden muss.

M: Mittlerweile erkennen viele aber den Trend. Inzwischen gibt es Klebe­flügel von allen namhaften Systemgebern in Deutschland. Die meisten haben sich mit dem Thema also beschäftigt.

W: Bleibt die Frage, wie ich mich hinterher am Markt positioniere. Die Profilsystemgeber haben ihre Kunden, und auch die Kunden müssen den Weg mitgehen und können nicht einfach überrannt werden.

Prinzipdarstellung einer Verklebung im Falzgrund eines Fensters.
Prinzipdarstellung einer Verklebung im Falzgrund eines Fensters.
Klebetechnik im Produktionsprozess: Von der einfachen Handapplikation über eine Misch-­ und Dosieranlage bis zum Vollautomaten ist jede Form der Integration möglich.
Klebetechnik im Produktionsprozess: Von der einfachen Handapplikation über eine Misch-­ und Dosieranlage bis zum Vollautomaten ist jede Form der Integration möglich.
Die Prüfvorschriften für RC2 und RC3 sind rein mechanisch und designneutral. Das Thema Verträglichkeit bei geklebten Fenstern wird mit der Prüfung nicht abgebildet.
Die Prüfvorschriften für RC2 und RC3 sind rein mechanisch und designneutral. Das Thema Verträglichkeit bei geklebten Fenstern wird mit der Prüfung nicht abgebildet.

Es reicht nicht, dass alle Systemgeber Klebeflügel anbieten, um die Fenster­bauer mitzuziehen?

W: Nein, dafür ist der Schritt einfach zu groß. Es gibt einfache Lösungen, bei denen zusätzlich geklebt wird. Um aber den vollen Nutzen zu erzeugen, wird der ganze Prozess vom Produkt her definiert. Dass der Prozess um die Aushärtung herum aufgebaut werden muss, war beim Fenster­bauer in der Vergangenheit nicht gerade üblich. Das ist ein Schritt von der Manufaktur hin zu industrieller Fertigung.

Zusätzlich gibt es gewisse Ängste, die durch Probleme in der Anfangsphase der Klebetechnik geschürt worden sind. Diese Probleme entstanden durch eine nicht fachgerechte Umsetzung. Es ist nicht damit getan, einen Klebstoff zu finden, der an Glas oder Sekundärdichtstoff und am Rahmenmaterial Haftung hat. Hier gibt es mehr zu beachten - gerade in Bezug auf Verträglichkeit, aber natürlich auch zu Mechanik und Dauer­belastung von Verklebungen. Wenn man sich an die Richtlinien, die es zumindest zwischenzeitlich auch öffentlich gibt, gehalten hätte, dann wären diese Probleme allerdings gar nicht aufgetaucht.

B: Ein wichtiger Punkt ist die Angst der meisten Fensterbauer vor einem Scheibentausch vor Ort. Das ist verständlich - eine geklebte Scheibe ist anders zu entfernen als eine verklotzte. Aber erstens gibt es bei verklebten Fenstern viel weniger Scheibentausch und Scheibenbrüche, und zweitens kann jede verklebte Scheibe mit geringfügig höherem Aufwand getauscht werden. Die großen Fensterbauer sparen mit verklebten Fenstern bei den Servicekosten inklusive Scheibentausch zwischen 80 und 82 Prozent ein. Ein Argument, das für die Klebetechnik spricht.

Sind Schrägdachverglasungen durch Verklebungen auch bei einer Neigung von 2 Grad sicher?

Solange eine Klebung trocken bleibt, ist die Neigung kein Problem. Ähnliche Anforderungen führen wir seit langem im Fahrzeugbereich durch. Wichtig ist es daher, die Konstruktion einer Schrägdachverglasung dementsprechend auszulegen. Zum Beispiel, indem die Glasplatte von oben aufgesetzt wird und eine gute Drainage vorhanden ist. So lassen sich Dauerfeuchte und Verschmutzung an der Klebung vermeiden. Ebenso notwendig ist es, die Materialien aufeinander abzustimmen, damit sie mit der Klebung verträglich sind.

Was können Sie als Klebstoffhersteller tun, um die Fensterbauer zu über­zeugen?

M: Eine wichtige Frage! Wir unterstützen gemeinsam mit den Profilsystemgebern die Fensterbauer vor Ort. Kömmerling bietet an, direkt in der Produktion Fensterelemente aus dem jeweiligen Betrieb mit dem Fens­terbauer zusammen zu verkleben und das Ergebnis und die Stabilität mit herkömmlichen Fenstern zu vergleichen. Die praktische Überzeugung direkt vor Ort und nicht nur ein paar Vorteile auf dem Papier - das ist wichtig. Kömmerling stellt außerdem eigene Misch- und Dosieranlagen zur Einarbeitung beim Kunden vor Ort zur Verfügung. Oder wir zeigen die Verklebung in unserem neuen Technikum in Pirmasens.

Sie sagen also, die Praxiserfahrung ist der beste Weg?

W: Auf jeden Fall. Zwei Dinge sind wichtig: Sicherheit, dass die Klebetechnik etwas taugt - deswegen haben wir die RAL­ Güterichtlinien - und den Qualitätsunterschied erfahrbar und fühlbar zu machen.

M: Ein Fensterbauer muss außerdem nicht seine komplette Produktion umstellen, um zu kleben. Er kann sowohl Kle beflügel als auch konventionelle Flügelverarbeiten und das Kleben kann in den Produktionsprozess eingepasst werden. Von der einfachen Handapplikation über die Misch- und Dosieranlage bis hin zum Vollautomaten.

W: Im Prinzip gibt es diese Ad-On-Lösungen von ganz einfacher manueller Applikation bis zu kleinen Anlagen und dann schrittweise bis zur Automatisierung der kompletten Ferti­gungslinie. Es gibt also jede Menge Stufen dazwischen, bei denen Kömmerling auch mit Rat und Tat zur Seite steht. Wenn ich den Automatisierungsvorteil nutzen will, dann ist das ganz klar ein Re-Engineering, aber wenn ich meine Fertigungslinie behalten will, kann ich trotzdem kleben. Für den RC- Bereich gibt es eine ganze Reihe Firmen, die das so machen.

Kömmerling arbeitet mit pastösen Klebstoffen. Welche Unterschiede sehen Sie zum Klebeband?

W: Generell sind die mechanische Performance und die temperaturmäßige Bandbreite von Nasssystemen, egal welcher Couleur, breiter als die von Bändern.

M: Man muss bei dem Thema differenzieren und die Zusammenarbeit mit den Klebebandherstellern erwähnen. Das Klebeband wird teilweise als schnelle Fixierungshilfe gemeinsam mit dem Klebstoff verwendet. Wir arbeiten auch in verschiedenen Gremien zusammen, um die Verklebung voran zubringen.

W: Der Multimaterialmix kann viele Möglichkeiten eröffnen. Es gibt kein Entweder-Oder, sondern da lassen sich ganz clevere Kombinationen anbieten. Das gilt auch für andere Materialien im Fenster: Man kann zum Beispiel den Einsatz von Stahl und Verklebung mixen. Man hat optional die Möglichkeit, für sehr große geklebte Formate auch Stahl zu verwenden und bei kleineren Formaten den Stahl wegzulassen.

M: Das gilt entsprechend für dunkelfarbige oder anthrazitgraue Elemente, die sich viel schneller erwärmen.

Ist RC2/RC3 ebenfalls ein interessanter Ansatzpunkt?

M: Erfahrungsgemäß erkennen viele unserer Kunden, die wegen RC2/RC3 mit dem Kleben angefangen haben, die Vorteile, und stellen die Produktion komplett auf Kleben um. Bei geklebten Fenstern müssen für die Anforderungen an RC2/RC 3 nur noch die entsprechenden Beschläge und die Glasscheibe gewechselt werden. Kömmerling stellt gemeinsam mit den Beschlagherstellern Prüfelemente her, die beim Prüfinstitut getestet werden.

W: Leider treffen die Prüfungen nach europäischer RC2/ RC3-Norm keine Aussage über die Dauerhaftigkeit der Konstruktionen. RC2/RC3 sind rein mechanische Prüfvorschriften und, so sollen europäische Normen auch sein, designneutral. Das ist eine Quelle von Problemen, weil das ganze Thema Verträglichkeit hier nicht abgebildet wird. Es kann also sein, dass nach RC2/RC3 positiv geprüfte Fenster aufgrund schlechter Verträglichkeit der Werkstoffe im Feld versagen. Dann heißt es wieder „Das Kleben funktioniert nicht".

Wie unterstützt die RAL-Gütegemeinschaft das Thema Verklebung?

W: Unser erstes Ziel liegt natürlich beim Verbraucherschutz, indem wir dafür sorgen, dass er ein entsprechend langlebiges, abgesichertes Bauprodukt kaufen kann. Natür­ lich bietet dieser Schutz auch Sicherheit für die Fensterbauer. Deshalb haben wir mit der GZ 716 ein paar Verkehrsregeln aufgesetzt. Diese Richtlinie war das erste Regelwerk, bei dem man die Fragen nach der mechanischen Tauglichkeit der Klebstoffe und nach der Verträglichkeit aller Komponenten, die mit dem Klebstoff in Kontakt kommen, komplett berücksichtigt hat. Dies gilt sowohl für Klebebänder als auch für Klebstoffe. Das war schon ein Meilenstein.

Jetzt müssen wir schauen, dass wir das, was wir auf freiwilliger Basis in dem Zusammenschluss der Profilsystemgeber geschaffen haben, in den internationalen normativen Rahmen einbetten. Außerdem informieren wir den Markt über Veranstaltungen und natürlich über die Fachpresse.

Der wichtigste Pfad geht aber über die Mitgliedsfirmen der Gütegemeinschaft direkt an den Kunden.

Wann gibt es eine eigene europäische Norm?

W: Das kann ich im Augenblick noch gar nicht sicher sagen. Der Wille ist definitiv da, wir haben auch konkrete Schritte gemacht. Im ersten Quartal werden wir einen ersten Entwurf für ein Mandat ausformulieren, den wir dann auch noch zur Diskussion stellen müssen, bevor wir in den europäischen Ring steigen. Erfahrungsgemäß dauern die europäischen Prozesse allerdings ihre Zeit.

 

Quelle: Fassadentechnik 04/2017

Weitere Informationen und Belegexemplar an:

Kömmerling Chemische Fabrik GmbH
Zweibrücker Str. 200
66954 Pirmasens
Tel: +49 6331 56-2330
Fax: +49 6331 56-1110
E-Mail: alexandra.rohr@hbfuller.com
www.koe-chemie.de